Sunday, January 3, 2010

Gefühlte Leistungsträger

Es gibt sie, diese Tage, an denen man sich selbst mit Fug und Recht zu den Leistungsträgern des Landes zählen kann. Weil man nämlich nicht im Bett geblieben ist, obwohl es draußen kalt und grau ist, obwohl der Anrufbeantworter äußerst alarmierend rot blinkt und dazu noch in einem enervierend aggressiven Takt, was nur den Schluss zulässt: Da hat jemand eine Botschaft hinterlassen, die nicht von Liebe, Geld oder »heute Abend um acht in der Bar 11« handelt, sondern von fiesen Sachen wie verpassten Deadlines oder bevorstehenden doofen Terminen.

Hat man sich dann aus dem kuschelig-warmen Bett gequält und noch vor dem ersten Kaffee und der ersten Zigarette dieses zweifelsfrei besonders miesen Tages den Anrufbeantworter abgehört, dann ist es plötzlich da, dieses Leistungsträgergefühl. Natürlich nicht im Sinne der triumphalen Erkenntnis, dass man zu denjenigen gehört, die die Geschicke der Republik bestimmen oder wenigstens in irgendeine Richtung lenken, sondern mehr so im Sinne von Mitleid. Denn in diesen wenigen Momenten, bevor man sich daran macht, das zu tun, was eben getan werden muss – oder was gestern hätte getan werden müssen –, da weiß man plötzlich, wie sich so ein Leistungsträger jeden Morgen fühlen muss, außer unausgeschlafen. Zu dem Horror, bloß nichts Wichtiges zu vergessen, mag zwar noch das Gefühl kommen, dass man extrem Relevantes tut und entsprechend auch selber ganz enorm wichtig ist, aber, machen wir uns nichts vor, so sehr hilft das vermutlich auch nicht, wenn man noch vor Sonnenaufgang in dieses kalte, graue Draußen muss.

Natürlich gibt es das Leistungsträgergefühl auch mit Ausschlafgarantie. Oder jedenfalls mit der Möglichkeit, meistens im Bett zu bleiben, wenn man das möchte. Man bringt zwar das Land weder wirtschaftlich noch sonst irgendwie voran, aber dafür geht man anderen Leuten nicht auf die Nerven. Man trägt nicht zur morgendlichen Staubildung bei, verstopft auch abends weder Straßen noch öffentliche Verkehrsmittel, muss nicht ins Krankenhaus eingeliefert werden, weil es beim Business Lunch irgendwas mit Salmonellen gegeben hat, beschert dem fürs Konto zuständigen Banker ein aufregendes Berufsleben (wird am Ende des nächstens Monats mal ein Plus übrigbleiben?), sorgt für gute Einschaltquoten bei den Frühnachmittagssendungen im Fernsehen und kümmert sich im Großen und Ganzen um seinen eigenen Kram.

Der musikalische Arm der gefühlten Leistungsträger heißt »Das Oberkreuzberger Nasenflöten-Orchester« und besteht aus rund zehn prekären Existenzen, die hin und wieder vorzeitig aufstehen, zum Beispiel dann, wenn es gilt, sich auf Konzerte vorzubereiten oder mit der Bahn zu Auftritten außerhalb Berlins zu fahren.

Seit die berühmt-berüchtigte Neuköllner Kneipe »Zum blauen Affen«, lange Zeit Homebase der Band, dichtgemacht hat – das Lokal wird ganz sicher demnächst eine todschicke Galerie –, sind die Flöten kurzfristig heimatlos. Derzeit sucht man einen neuen blauen Affen und ist zunächst im tieferen Neukölln fündig geworden. Der Auftritt im »Heinzelmann« wurde zum Erfolg, obwohl ein Nachbar, zweifellos ein echter Leistungsträger, sich bereits gegen 21 Uhr über die unerträgliche Ruhestörung beschwerte. Gegen die logistisch ausgeklügelte Zusammenarbeit von Band und Kneipengästen hatte der Querulant allerdings keine Chance: Immer, wenn die Polizei anrollte, gaben die Späher an den Fensterplätzen Zeichen, woraufhin die Nasenflöten den Gig abbrachen und in fröhliches Herumstehen verfielen. Kaum waren die Ordnungshüter wieder weg, wurde weiter die Ruhe gestört. Und während eine zweifellos sehr unausgeschlafene Neuköllner Stütze der Gesellschaft am nächsten Morgen ihr Tagewerk begann, lagen die, die am Abend zuvor viel Spaß hatten, noch äußerst vergnügt in ihren Betten.

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